Weihnachtstext









Märchentraum
Am Weihnachtsbaum mit ihrem Märchenbuche
Das Mädchen sitzt - ringsum herrscht tiefe Ruh'.
Ein Lächeln spielt um ihre holden Züge,
Schlaftrunken fielen ihre Augen zu.
Sie träumte sich zurück in jene Stunden,
Da sie ein Kind, so heiter, froh und jung,
Und all die Bilder ihrer Kindertage
Sie weckten in ihr auf - Erinnerung.
Erinnerung an sonnige Gestalten,
Die einst so lieb ihr waren und vertraut,
Die sie in ihren schönsten Jugendträumen
Als ihre liebsten Freundinnen geschaut.
Und plötzlich schwebt zu ihr ganz sacht hernieder
Die Märchenfee mit ihrem Zauberstab -
Die Kerzen an dem Baume flackern heller,
Wie sie sich neigt zur Schlummernden herab.
Kennst Du mich noch? begann die Fee zu fragen -
Oft führt' ich Dich in's Land des Sonnenscheins,
Dort sangen Dir verständlich ihre Lieder
Die Vögel meines heil'gen Zauberhains.
Dort führt' ich Dich in mein hellglänzend Schlosse,
Von Edelsteinen funkelnd und Demant,
Wo von den Decken hängen Lichterkronen,
Wo Dir Dein Bild strahlt aus krystall'ner Wand.
Wo Alles, was Dein Herze nur begehret,
Sich Dir erfüllt, wenn Du es kaum gedacht,
Wo man nicht Thränen kennt, noch Sorg' und Schmerzen,
Wo Aug' und Herz in Glückessonne lacht.
Dahin will heut' ich Dich, Du Holde, führen,
Dornröschen harrt schon Dein in dem Palast,
Schneewittchen mit den sieben guten Zwergen
Lädt Dich in ihrem Zauberberg zu Gast.
Rotkäppchen spricht schon mit dem bösen Wolfe -
Laß eilen uns! sonst frißt er sie gar auf!
Und Aschenbrödel schlüpfte aus dem Saale,
Es folgt der Prinz ihr nach in schnellem Lauf.
Und willst Du mir noch weiter fröhlich folgen,
So führ' ich Dich zum tiefen, tiefen Wald,
Wo Hans und Gretel bei der Hexe weilen,
Die, ach, so garstig ist, so bös' und alt.
Laß' eilen uns! sonst flieht die Zauberstunde
Vorbei - und Du hast nichts geschaut,
Horch, horch! Da naht sich schon mein Schwanenwagen,
Ich hör's an seiner Silberglöckchen Laut.
Komm! Steige ein! - Da wacht' sie auf vom Schlummer,
Die Kerzen brannten nieder an dem Baum.
Das Märchenbuch entsank den schlanken Händen
"Ach Märchenglück! Du bleibst ein holder Traum!"
Olga Arendt-Morgenstern
Weihnachtsabend
An die hellen Fenster kommt er gegangen
Und schaut in des Zimmers Raum;
Die Kinder alle tanzten und sangen
Um den brennenden Weihnachtsbaum.
Da pocht ihm das Herz, daß es will zerspringen;
"O," ruft er, "laßt mich hinein!
Was Frommes, was Fröhliches will ich euch singen
Zu dem hellen Kerzenschein."
Und die Kinder kommen, die Kinder ziehen
Zur Schwelle den nächtlichen Gast;
Still grüßen die Alten, die Jungen umknien
Ihn scheu in geschäftiger Hast.
Und er singt: "Weit glänzen da draußen die Lande
Und locken den Knaben hinaus;
Mit klopfender Brust, im Reisegewande
Verläßt er das Vaterhaus.
Da trägt ihn des Lebens breitere Welle -
Wie war so weit die Welt!
Und es findet sich mancher gute Geselle,
Der's treulich mit ihm hält.
Tief bräunt ihm die Sonne die Blüte der Wangen,
Und der Bart umsprosset das Kinn;
Den Knaben, der blond in die Welt gegangen,
Wohl nimmer erkennet ihr ihn.
Aus goldenen und aus blauen Reben
Es mundet ihm jeder Wein;
Und dreister greift er in das Leben
Und in die Saiten ein.
Und für manche Dirne mit schwarzen Locken
Im Herzen findet er Raum; -
Da klingen durch das Land die Glocken,
Ihm war's wie ein alter Traum.
Wohin er kam, die Kinder sangen,
Die Kinder weit und breit;
Die Kerzen brannten, die Stimmlein klangen,
Das war die Weihnachtszeit.
Da fühlte er, daß er ein Mann geworden;
Hier gehörte er nicht dazu.
Hinter den blauen Bergen im Norden
Ließ ihm die Heimat nicht Ruh'.
An die hellen Fenster kam er gegangen
Und schaut' in des Zimmers Raum;
Die Schwestern und Brüder tanzten und sangen
Um den brennenden Weihnachtsbaum." -
Da war es, als würden lebendig die Lieder
Und nahe, der eben noch fern;
Sie blicken ihn an und blicken wieder;
Schon haben ihn alle so gern.
Nicht länger kann er das Herz bezwingen,
Er breitet die Arme aus:
"O, schließet mich ein in das Preisen und Singen,
Ich bin ja der Sohn vom Haus!"
Theodor Storm
Am Tag des heil'gen Christ
Es war am Tag des heil'gen Christ;
Auf Berg und Thal lag Eis und Schnee.
Die Mutter sprach mit arger List
Zum Stiefkind: "Meine Tochter, geh',
Erdbeeren mir zu pflücken,
Die sollen mich erquicken!"
Mit Thränen hört die Maid das Wort,
Geht in den großen, weißen Wald,
Fegt mit der Hand den Schnee sich fort,
Die Erd' ist dürr und leer und kalt.
"O heil'ger Christ! Erdbeeren,
Wer wird sie mir bescheeren?"
Sie geht und sucht, sie weint und fleht;
Der Abend kommt, sie merkt es nicht;
Es kommt die Nacht, sie geht und geht -
Da plötzlich wird es vor ihr Licht;
Sie sieht's im Walde blühen,
Erdbeeren frisch erglühen.
Und mitten auf dem Erdbeerplan
Ein Christbaum steht voll Sternenpracht;
Der heil'ge Christ holt sie heran
Und spricht, daß ihr die Seele lacht:
"Hier magst du ewig pflücken
Und ewig dich erquicken!"
Das war am Tag des heil'gen Christ.
Wo blieb, wo blieb das Mägdelein?
Es heißt im Dorf: Erfroren ist
Das Kind im kalten Wald! Doch nein!
Es pflückt sich nur Erdbeeren
Dort, wo sie ewig währen.
Emil Quandt







