Weihnachtserzählungen in Versen
Berge und Wälder und Wiesen und See
Schnee und Nebel, Nebel und Schnee;
Nieder der Himmel, farblos und fahl;
War er denn heiter und hoch einmal?
Hockende Krähen auf kahlem Geäst, -
Das ist des blutwarmen Lebens der Rest?
Siehe, die Sonne versinkt hinter'm See:
Broncegold thaut auf dem glitzernden Schnee,
Thaut und verfliesst in das flockige Weiss, -
Rundum umstarrt mich lebloses Eis.
Dampfende Nebel umhüllen mich dicht,
Wehen wie Hasshauch mir nass ins Gesicht
Stechen nicht Augen hervor aus dem Grau,
Augen der lieblosen alten Frau,
Die in der knochigen Hand zurück
Grausam mir hält mein bangsüsses Glück?
Nein doch und nein! Ein lieberes Licht
Lacht mir aus Nebelgrau hell ins Gesicht.
"G'rannt bin i schnell wie der Wind übern Schnee!"
- Mädel, oh du meine Weihnachtsfee!
Schmiegt sie sich an mich dicht und bang,
Wandern wir wortlos im Glockenklang,
Wandern durch Nebel und Nacht und Wind,
Weint an der Brust mir leise das Kind,
Weint, dass getrennt wir müssen, allein,
In der heiligen Weihenacht sein.
Küss' ich die Thränen ihr lind vom Gesicht:
Weine nicht, Mädel, geh, weine nicht!
Zündet heut Andern der Liebesmann
Flimmernde Christkindlkerzen an,
Hat er in unseren Herzen entfacht
Eine ewige Weihenacht.
Sind wir auch heute Abend getrennt,
Doch uns im Herzen ein Christbaum brennt.
Dir aus dem Auge ja lacht sein Schein,
Nein doch, du Meine, wir sind nicht allein.
Trag ich dein Herz ja in meiner Brust,
Du auch das meine tragen musst.
Froh mir ein hellwarmes Lächeln dankt,
Fest mich ihr rundvoller Arm umrankt,
Tief saugt ihr Blick sich in meinen ein:
"Nein, oh du Meiner, wir sind nicht allein."
Wandern zurück wir durch Nebel und Wind,
Lacht an der Seite mir selig das Kind.
Otto Julius Bierbaum
(Weihnacht 1899)
Am Himmel seh' ich Flammenzeichen,
Auf Erden wird es wunderlich.
Es wetterleuchtet; Wolken schleichen
Unheimlich und verbünden sich.
Wie ferne Donner dröhnen Klagen,
Und weit und weiter wird die Kluft.
Ein wirrer Knäuel dunkler Fragen
Durchschwirrt mit Sturmgebraus die Luft.
Es wanken Säulen, welche trugen
Den Bau mit stolzer Sicherheit.
Es knarrt und kracht in allen Fugen.
Mit Macht stürmt an die neue Zeit.
Es brodelt längst in dunklen Schlünden;
Schon zucken Flammen blutig rot,
Die Unheil und Verderben künden,
Die Boten sozialer Not.
Wann wird das Sturmsignal ertönen?
Der Ruf, der rings die Reihen schließt? -
Wann wogt der Strom von Blut und Thränen,
Der tropfenweis schon heute fließt? -
Doch horch! - ich höre Weihnachtslieder.
Die Menschheit lauscht dem süßen Klang.
Wer gab der Welt den Frieden wieder? -
Die Liebe, die den Haß bezwang.
Wilhelm Edelmann
(Zur Begrüßung Huberts v. H. am 2. Weihnachtsfeiertag 1887)
Hubert der Maler - am Isarstrand
Sitzt er in Bajuvarenland.
Er sitzt und sinnt: "wohl bin ich froh
In der Mönchestadt, in Monaco,
Wohl trink ich hier Weihen-Stephan am Quell,
Und doch mein Aug', es wird trüb und hell,
Mein Aug', es sieht, als wär es im Traum,
Am Lützowplatz einen Weihnachtsbaum.
Es geht nicht länger, ich will nach Haus,
Mir geht hier Laun' und Stimmung aus,
Ich reis' anch gleich, ohne lange zu schreiben,
Und wenn fünf Minuten in Hof wir bleiben,
So telegraphir' ich nach Berlin-West:
"Komme noch heute, komme zum Fest.
Hubert in Hof."
Gesagt, gethan. Er nimmt ein Billet.
Ei, das Reisen, es ist doch nett,
Der Wagen ist warm, die Sitze sind breit,
Und draußen, so still. Und wie hübsch es schneit.
"Ich mache mir nichts aus Sturm und Regen,
Aber Schnee, der komme meinetwegen,
Den schüttelt man ab, der macht nicht naß,
Schneewetter, vor allem lieb' ich das,
Schnee dämpft selbst des Eilzugs Gestöhn und Gedröhn,
Schnee ist blos hübsch, Schnee ist blos schön!"
So Hubert, als er in erster Stund
In Nähe von Freysing sich befund.
Auch in Ingolstadt noch. Aber schon bei Fürth
Die Sache ziemlich bedenklich wird,
Es schneit und schneit, es fällt und fällt,
Ein Schneehaufe wird die ganze Welt,
Bäume, Dächer, Kirchthurmspitzen,
Alle schon tief in der Kappe sitzen,
Und als die Maschine, die längst nicht mehr fleucht,
Sich bis nach Hof hin durchgekeucht,
Da sitzen sie fest, der Zug steht still,
Die Wand nicht weiter sich öffnen will,
Und die Schaffner rufen: "Aussteigen; zu Nacht
Wird vorläufig hier Quartier gemacht."
Entsetzen, Lachen, Fluchen, Gewimmer,
Alles stürzt in das Wartezimmer,
Nur einer kennt eine höhere Pflicht,
Er telegraphirt: "Erwartet mich nicht.
Eingeschneit. Macht Euch keine Sorgen.
Ich sitze hier fest, komm also morgen.
Hubert in Hof."
Das klang noch zunächst vergnüglich fast,
Aber die Länge, sie hat die Last,
Ihr Alle kennt den Ausspruch ja:
"Früh um acht in Potsdam, was soll ich da?"
Und Potsdam ist immer doch Potsdam noch,
Aber "Hof", da reißt denn der Faden doch,
Wen kann es trösten, wer kann dran genesen,
Das Jean Paul in Hof auf der Schule gewesen.
Und der Wartesaal! Himmel, welche Gerüche,
Dunst und Wrasen aus Keller und Küche,
Von Stiefelsohlen die Schneekrustschmelze,
Cigarren aus Oestreich, Judenpelze,
Körbe mit Eierrn, mit Hering, mit Käse,
Kanonenöfen mit Gluthgebläse,
Zwiebel-Beefsteak, bairische Würste,
Gepfeffert, gesalzen, von wegen der Dürste.
Ja Dürste! Riesig wächst der Wunsch
Nach Glühwein, Knickebein, Grog und Punsch,
Salate von Fisch, Majonnaise von Hummer,
Manch vermostrichte Zeitungsnummer,
Vier Wochen alte Kladderadatsche,
Witze, politisches Getratsche,
Harfenistinnen, Geige, Klaviergeklimper,
Courmacher, derb und mit Gezimper,
Und allviertelstündlich ein neuer Rapport:
"Es schneit und schneit noch immer fort."
So sitzen sie fest und spielen Skat,
Und nach Haus hin sehnt sich, früh und spat,
Hubert in Hof.
Doch, Gott sei Dank, 's steht irgendwo,
(Confuz oder König Salomo)
"Ein jedes Ding hat seine Zeit,"
Und so hat's denn auch endlich ausgeschneit.
"Einsteigen" erklingt das süße Wort,
Und wieder norderwärts geht es fort,
Lokomotive, tapfrer Held,
Schlägt sich durch bis Bitterfeld,
In Wittenberg, wie Sirenengesang,
"Apfelkuchen" klingt es den Bahnsteig entlang,
Aber Wachs ins Ohr, nur nicht kosten woll'n,
Es ruft ja der bessre Weihnachtsstolln -
Er ruft .. Und treppauf mit einem Satz
Ist Hubert, jetzt heim am Lützowplatz,
Hubert in Hof.
Theodor Fontane